Der "Chemnitzer Roland" ist eine Zeitung für Heimat, Brauchtum, Geschichte und Kunst
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Petra Pansch erweckt die „Zwicke“ wieder zum Leben
„Charlottes Volkshaus“
Natalie Rinberg, Chemnitzer Roland
Den meisten Lesern wird das Haus an der Zwickauer Straße 152, in dem sich die Handlung der Romane von Petra Pansch abspielt, als Klubhaus „Fritz Heckert“ oder „Haus Einheit“ bekannt sein. Mit dem Namen verbunden sind Erinnerungen an Konzerte, Bälle und Tanzstunden, die erstes „Beschnuppern“ des anderen Geschlechts erlaubten. Auch Charlotte, Großmutter von Petra Pansch, traf dort ihre große Liebe und hatte ihrer Enkelin Jahrzehnte später viel über das Leben in Kappel zu berichten. In der dreiteiligen Romanreihe „Charlottes Volkshaus“ kann nun jeder Charlottes Geschichte nachlesen.
Eine Kappler Pflanze Petra Pansch
Nicht nur ihre Großmutter, auch Petra Pansch hat viel Bewegendes erlebt. Geboren im Jahr 1952 als Petra Zschiedrich über dem Klubhaus „Fritz Heckert“ verbrachte sie eine behütete Kinderzeit in der Obhut ihrer Großmutter Charlotte Beyer (1904–1988). Von klein auf lauschte Petra gespannt den Geschichten und Unterweisungen ihrer geliebten Oma und lernte viel für das Leben, über ihre Familie und ihre Heimatstadt.
Als die Familie 1962 nach Meißen umzog, war das ein trauriger Abschied von der „Zwicke“, wie die Zwickauer Straße von ihren Bewohnern liebevoll genannt wurde, und dem eng mit der Familiengeschichte der Beyers verbundenen Volkshaus. Zum Glück schloss sich Charlotte der fünfköpfigen Familie ihrer Tochter Ruth an und ging mit nach Meißen.
Am neuen Wohnort machte Petra Pansch ihr Abitur. Nach dem Volontariat beim Deutschen Fernsehfunk Berlin studierte sie von 1972 bis 1976 Journalistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Danach arbeitete sie zwei Jahre lang bei der Pressestelle des Oberbürgermeisters in ihrer Geburtsstadt. Von 1978 bis 1982 wirkte sie als Lokaljournalistin bei der Sächsischen Zeitung in Sebnitz./1/
Das Jahr 1982 brachte eine Wende in ihrem Leben. Ihr Partner wurde zum 70. Geburtstag seines Vaters nach Ulm eingeladen, was jedoch nicht genehmigt wurde. Die Restriktionen waren zu viel für die junge Familie und sie stellten einen Ausreiseantrag. Nach einer schweren Zeit voller Repressalien und Gefahren durfte die Familie das Land endlich im Jahr 1984 verlassen.
In Neuwied am Rhein findet Petra Pansch eine neue Heimat. Sie arbeitet bei der Deutschen Presse-Agentur (dpa), in der Presseabteilung der Handwerkskammer Koblenz und baut das Volksschulradio beim Sender RPR1 mit auf. Als freie Journalistin bereichert sie mit ihren Beiträgen diverse Lokalzeitungen in Rheinland-Pfalz. Schon kurz nach ihrer Ankunft in der BRD motiviert sie ihr Chef bei der dpa, Dieter Buslau, doch über ihr Leben in der DDR zu schreiben.
Der Gedanke sitzt, doch erst 30 Jahre später kann ihn Petra Pansch in die Tat umsetzen. Im Jahr 2019 kommt ihr erstes autobiografisches Buch „Vom Ossi zum Wessi. Alles hat seinen Preis“ raus. „Vom Ossi zum Wessi. Es ist nicht alles Gold, was glänzt“ und „Was nun, Frau Pansch“ sind die Folgebände davon. Zwischen 2022 und 2024 wird die Reihe „Charlottes Volkshaus“ verlegt, in der Frau Pansch die Familiengeschichte bis zu ihrer Geburt aufarbeitet.
Wer also mehr über Petra Pansch erfahren möchte, sollte ihre Bücher lesen. Heute lebt die Autorin in Düren am Rand der Nordeifel. Für Autorenlesungen ist sie viel in Deutschland unterwegs und kommt auch immer wieder in ihre Geburtsstadt. Hier hat sie eine große Bücher-Fan-Gemeinde. Für die ehemalige Kapplerin ist Chemnitz Heimat geblieben.
Charlottes Volkshaus
Im ersten Band, das in der Zeit des Kaiserreichs beheimatet ist, kommt die kleine Charlotte Arnold aus dem beschaulichen Ebersdorf nach Chemnitz-Kappel. Als einer der Fabrikstandorte der aufstrebenden Industriestadt ist Kappel anonym, laut und alles andere als gemütlich. Auch das Leben zu Hause ist kein Zuckerschlecken, die Stiefmutter eine kalte und berechnende Person und die Stiefschwester Paula zunächst mehr Feindin als Freundin. Einen Lichtblick bildet das imposante Volkshaus. Seine hübsche Architektur und das Gartenrestaurant samt Konzertmuschel im Innenhof ziehen Charlotte an, seit sie mit der Familie dort zum ersten Mal war. Das Haus ist ihr Schicksal. Das Buch berichtet über das Leben einfacher Arbeiter, Kinderarbeit, Hunger, Krieg und Gewalt – alles Zeichen der damaligen Zeit. Am Ende findet Charlotte dennoch ihr Glück, verliert aber ihre Stiefschwester und inzwischen beste Freundin. Was ist aus Paula nur geworden?
Im zweiten Band zieht Charlotte in ihr Traumhaus ein. Sie gründet eine Familie und bewirtschaftet einen Garten am Helbersdorfer Hang. Dieser Ort ist das Refugium für sie, ihre Familie und Verwandtschaft, eine kleine Friedensinsel im tosenden braunen Meer. Das Leben wird vom nächsten Krieg und Angst vor den nationalsozialistischen Machthabern überschattet. Doch auch im Schrecklichen gibt es Hoffnung, Liebe und Menschlichkeit. Wird am Ende alles gut werden?
Das dritte Band wird den Lesenden am nächsten sein, denn vieles haben sie selbst erlebt. Die DDR wird gegründet und das braune Laub aus dem Land gefegt. Aufatmen in Charlottes Familie, die von jeher mit der Sozialdemokratie sympathisierte. Aus Chemnitz wird unvorhergesehen Karl-Marx-Stadt. Lange verschollen geglaubte Lieben tauchen auf. Nun ist Charlottes Tochter Ruth mit der Familiengründung an der Reihe, was für einige Turbulenzen sorgt. Es ist die Zeit des Aufbaus aber auch einiger Enttäuschungen. Doch gemäß ihrem Credo lässt Charlotte die Liebe nicht versiegen. So sagt sie ihrem geliebten Volkshaus Lebewohl und folgt der Familie ihrer Tochter nach Meißen.
Mit „Charlottes Volkshaus“ hat Petra Pansch nicht nur einer besonderen Frau ein Denkmal gesetzt, sondern macht auch die Chemnitzer Geschichte lebendig. Dank akribischer Recherche benennt sie historische Orte, die es nicht mehr gibt und lange vergessene Ereignisse wie die Sturmkatastrophe vom Mai 1916, den Brückeneinsturz im Flussbad Altchemnitz im Juni 1930 oder die Zeppelin-Landung im November 1930. Auch legendäre Persönlichkeiten verstecken sich zwischen den Seiten, zum Beispiel die Flugpionierin Lola Schröter. Ebenfalls keine Unbekannten in der Geschichte Kappels und für langjährige Chemnitzer Roland-Leser sind die Kappler Hebamme Gertrud Lanßky und der Arzt Dr. Herbert Walther (Arztpraxis auf der Haydnstraße 1)./2/ Die beiden stehen zu Hause im Volkshaus sowohl Charlotte bei Ruths Geburt als auch Ruth bei der Geburt ihrer drei Töchter bei.
Das Volkshaus
Für Petra Pansch und ihre Familie hat das Volkshaus eine emotionale Bedeutung. Doch hat es auch in der städtischen Geschichte eine nicht geringe Rolle gespielt und ist ein wichtiger Ort der kulturellen Erinnerung. Das Gebäude wurde 1886 durch die Feldschlößchen-Brauerei (heute Braustolz) und deren Besitzer Reinhard Böttger als Gastwirtschaft mit Festsaal erbaut. Das „Collosseum“ bestand bis 1904 und bot 1.300 Gästen Platz./3/
Um die Jahrhundertwende erstarkte in Chemnitz die Arbeiterschaft. Sozialdemokraten und Gewerkschafter brauchten Platz für Versammlungen, wurden aber aufgrund des Sozialistengesetzes von Gastwirten boykottiert. Im Jahr 1902 gründeten sie den Verein „Volkshaus“ und kauften das alte „Collosseum“ deren neuem Besitzer, der „Actien Lagerbierbrauerei Schloß-Chemnitz“, ab. Fortan tagten im ehemals bürgerlichen Vergnügungslokal Arbeiterparteien und Gewerkschaften.
Als der Platz knapp wurde, veranlasste der Verein einen Neubau. Die Fertigstellung erfolgte im Jahr 1909. Das von Alfred Löser im Heimatstil entworfene Volkshaus bezog die Gaststätte „Collosseum“ als Nebenflügel ein und hatte vier Hauptetagen, zwei große Mansarden, zwei Erker sowie ein Türmchen als Dachreiter. Die Gaststube wurde erweitert und renoviert./4/ Im Altbau wurde eine Herberge für Künstler und Referenten eingerichtet während im Neubau die SPD und Gewerkschaften arbeiteten. Im Konzertgarten konnten bis zu 2.000 Besucher an Sommerfesten, Arbeiterchorauftritten sowie Volksfesten teilnehmen. Delegierte zum Chemnitzer SPD-Parteitag von 1912 statteten dem Volkshaus ebenso einen Besuch ab wie Fritz Heckert oder Ernst Thälmann./5/
In der Zwischenkriegszeit überholte die SPD ihr Domizil. Elektrisches Licht sowie Heizung mit Lüftung wurden installiert, ein Bierkeller und Spielplatz ergänzt. Im Jahr 1933 wurde das Haus von der NSDAP beschlagnahmt und zwangsversteigert, der Verein am 24. Januar 1934 beim Amtsgericht gelöscht. Zeitweise wurden Zwangsarbeiter im ehemaligen Volkshaus untergebracht. Am 11. Mai 1945 traf ein Wagenkonvoi der US-Armee auf Panzer der 1. Ukrainischen Aufklärungseinheit. Der Krieg war vorbei, doch leider wurde das Volkshaus nicht wieder zum Sitz der Chemnitzer Sozialdemokraten.
Das Gebäude kam in Volkseigentum und beherbergte bis 1989 den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) sowie die Freie Deutsche Jugend (FDJ). Der neue Name Klub der Jugend und Sportler „Fritz Heckert“ konnte die alte Bezeichnung „Volkshaus“ nicht ganz verdrängen und wurde gern als „Heckhaus Fritz Clubert“ verballhornt, ging doch die hormongeladene Jugend bei Tanzstunden und Diskotheken bis zum Hecken, sprich auf Tuchfühlung./6/
Nach der Wiedervereinigung wurde die Stadt Eigentümerin des nun „Haus der Einheit“ genannten Kulturhauses und brachte in einem Teil des Baus das Schulverwaltungsamt unter. Im restlichen Gebäudekomplex saßen verschiedene Vereine. Als Dachverband fungierte der 1993 gegründete Verein „Kraftwerk“. Es wurden sparten- und generationenübergreifende soziokulturelle Angebote geschaffen, mit dem Ziel auch einkommensschwachen Menschen den Kulturzugang zu ermöglichen. Im Januar 1998 übernahm Kraftwerk e. V. die alleinige Betreibung der Einrichtung und wurde als Träger der freien Jugendhilfe nach § 75 KJHG anerkannt. Im Jahr 2003 mussten jedoch alle Mieter aus dem „Haus Einheit“ ausziehen, da die bauliche Substanz stark marode war. Kraftwerk zog ins „Haus spektrum“ an der Hartmann’schen Villa. Das Volkshaus wurde unter Denkmalschutz gestellt und zum Verkauf angeboten. Seitdem versinkt es im Dornröschenschlaf. Im Jahr 2012 wurde im vermutlich vorsätzlich gelegten Brand der Dachstuhl stark beschädigt. Fünf Jahre später erwarb Dietmar Jung von der Firma Rewobau aus Machern bei Leipzig das baufällige Gebäude. Bis 2020 wollte er es sanieren und 60 Eigentumswohnungen für rund 15 Millionen Euro schaffen. Der Plan wurde aufgegeben, weil Herr Jung sich zunächst seinen einsturzgefährdeten Objekten auf dem Sonnenberg zuwenden musste. Das Volkshaus wurde zwischenzeitlich notgesichert, das Dach erhielt eine neue Beton-/Ziegeldecke.
Zum Leidwesen des Eigentümers dringen immer wieder Einbrecher und „Lost-Placer“ in das Gebäude ein. Im April vergangenen Jahres brannte erneut der Dachstuhl. Dieses Jahr im März meldete der Bauherr Pascal Jung von Rewobau, dass die Sanierung des Gebäudekomplexes 2028 beginnen soll. Geplant sind eine komplette Entkernung, Einziehen neuer Ziegeldecken sowie Erneuerung der Elektrik und Wasserversorgung. Hochwertige Wohnungen mit Fußbodenheizung, modernen Bädern und neuen Fenstern sind das Ziel. Pascal Jung steht im Austausch mit Denkmalschutzbehörden, um die Historizität des Gebäudes zu erhalten und denkt über die Involvierung von Gewerberäumen für Restaurants und Kultureinrichtungen nach./7/
Liebe Leserinnen und Leser, haben auch Sie Ihre ganz eigenen Erinnerungen an das Volkshaus/Klubhaus „Fritz Heckert“/Haus Einheit wie die Autorin Petra Pansch? Wir freuen uns über Ihre Zuschriften und Bilder!
„Charlottes Volkshaus“ ist im Handel erhältlich (Taschenbuch 16,99 €/Gebundene Ausgabe 24,99 €).
Kappel kennenlernen oder neu entdecken können Sie mit den Gästeführerinnen Ramona Wagner und Karin Meisel. Weitere Informationen und Anmeldung unter: https://chemnitz-erkunden.de/stadtfuehrungen/industriestadt/ (Frau Wagner) sowie https://chemnitz-kennenlernen.de/chemntz-entdecken/rundgaenge/ (Frau Meisel).
Quellen
/1/ https://www.petrapansch.de/; https://www.zeitzeugenbuero.de/zeitzeugensuche/zeitzeuge/pansch-petra.
/2/ N. Rinberg: Getrud Lanßky – eine Hebamme im Wandel der Zeit, im CR 1/21.
/3/ René Seidel, Sebastian Moroz: Verlassene Orte Chemnitz, Chemnitz 2014, S. 20.
/4/ Jens Kassner: Chemnitz. Architektur. Stadt der Moderne, Leipzig 2009, S. 161.
/5/ Volkshaus, in: Chemnitz Kalender 1996. Historische Gaststätten und Ausflugslokale.
/6/ Björn Jacob: Lost Place: Colosseum aka Volkshaus aka Haus der Einheit aka Kraftwerk Chemnitz, auf: https://www.geocouch.de/beitrag/lost-place-colosseum-aka-volkshaus-aka-haus-der-einheit-aka-kraftwerk-chemnitz/.
/7/ https://www.tag24.de/chemnitz/lokales/chemnitzer-haus-einheit-wird-ab-2028-saniert-3117263.
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Das Volkshaus heute
Chemnitzer Roland Ausgabe 03/24