Kurz und Bündig - 164 Seiten
Blick ins Buch - "Trabikauf"
Immer mittwochs versuche ich, im Postamt am Zeitungsschalter die "Wochenpost" zu bekommen. Das ist die Zeitung mit den vielen Autoanzeigen. Darin werden die heiß begehrten Trabis zum Verkauf angeboten, ohne Preisangabe unter einer Chiffrenummer.
Stets die gleiche Prozedur: Ein Gebot, viel höher als der Neupreis per Brief, den in einen Briefumschlag legen, Chiffrenummer darauf schreiben, zukleben, den Umschlag in einen weiteren Briefumschlag fügen und an die Zeitung adressieren, Briefmarke drauf und abschicken. Ich weiß nicht mehr wie oft.
Dann nach Wochen ein Anruf von einem Verkäufer und wir verabreden uns. Es ist zwar ein offenes Geheimnis, wie in der DDR so ein Autohandel abläuft, aber offiziell bezahlt der Käufer nur den amtlich festgelegten Schätzpreis, maximal noch 10 Prozent darüber. Damit der Schein gewahrt bleibt, lassen wir uns von der Sparkasse einen Scheck auf den Schätzpreis ausstellen und einen Betrag bar auszahlen. Ein Bekannter fährt uns dann am Samstag in ein kleines Dorf weit hinter Bautzen.
Ein grauer Trabant 600, der schon viele Jahre auf seiner Pappe hat, wartet auf uns. Er springt gleich an und klingt ganz gut nach Aussage meiner beiden Experten, die auch den Auspuff auf Rost inspizieren und sich vorn und hinten mit Wippen bemühen, um so den Zustand der Stoßdämpfer zu prüfen. Schnell sind wir handelseinig, der getürkte Kaufvertrag wird unterschrieben und wir fahren als stolze Trabantbesitzer nach Hause.
Aber so schnell geht es dann doch nicht. Horst muss auf Reserve schalten, denn Benzin ist trotz des hohen Kaufpreises so gut wie nicht im Tank. Also nach einer Tankstelle Ausschau halten. Am Autobahnkreuz Bautzen finden wir eine Minol-Tankstelle, sie hat geöffnet und auch Benzin ist vorhanden. Mit vollem Tank tuckern wir glücklich nach Sebnitz.
Am nächsten Tag aber, beim Saubermachen der Räder trauen wir unseren Augen nicht. Zwei Reifen sind doch tatsächlich kunstvoll mit Heftpflaster beklebt, um die ramponierte Lauffläche zu verbergen. Wir stellen den Verkäufer zur Rede und nach einigem Hin und Her er uns zähneknirschend einen Geldbetrag für Ersatzreifen.
In unserer Garage steht ein alter Berliner Roller von 1960. Dieses bockende Ungeheuer bleibt jetzt noch eine Weile unser Gefährt, bis wir das Kapitel: "Wie komme ich an Autoreifen, sehr gerne auch runderneuerte", abgehandelt haben. Und das kann dauern.
Im Sebnitzer IFA-Geschäft, das über ein winziges Sortiment an Ersatzteilen für Autos verfügt, erhalte ich auf meine Frage nach Reifen ein ungläubiges Lächeln. Habe ich etwa nach Bananen gefragt? Nein, nur nach Reifen und egal ob neu oder runderneuert, es ist ein schier aussichtsloses Unterfangen. Aber ich gebe nicht auf und schreibe einen Brief an das Reifenwerk Risa und schildere mein Anliegen.
Nach ein paar Wochen halte ich den Antwortbrief in der Hand und reiße aufgeregt noch im Treppenhaus den Umschlag auf. Geschrieben steht, man könne mich sehr gut verstehen, aber es gäbe leider nicht genügend Reifen, weder neu noch runderneuert. Aber jetzt kommts; sie könnten mir eventuell helfen, wenn meine Arbeitsstelle bescheinigen würde, dass ich zur Erfüllung meines Arbeitsauftrages mein Auto dringend benötige, was aber ohne mindestens runderneuerte Reifen nicht möglich sei.
Also spreche ich mit meinem Chef und er verfasst das notwendige Schreiben. Wieder vergehen Wochen des Wartens und der Berliner Roller tuckert uns weiter von A nach B. Aber dann flattert eine Antwort mit einem Termin ins Haus. Wir sollen morgens um 7 Uhr in eine Dresdener Werkstatt kommen, zwecks Kaufs von zwei runderneuerten Reifen.
Ein Freund von Horst fährt uns hin. Wir sind nicht die Einzigen, die hier mit einem Brief in der Hand auf eine Reifenausgabe warten. Aber es geht ziemlich flott und bald landen wir in einem kleinen Büro, reichen den Brief über den Schreibtisch hinweg und der Mann in seiner blauen Arbeitskluft nickt. Erleichtert atmen wir auf, als wir erfahren, dass wir gegen 14 Uhr die Reifen abholen dürfen. Die Zeit bis dahin nutzen wir zu einem Bummel durch Dresden.
Es ist ein schöner Spätfrühlingstag. Die Sonne scheint und die Elbe glitzert. Gegenüber, am anderen Ufer sehe ich die Altstadt, den Zwinger, die Brühlsche Terrasse und die wunderschönen alten Brücken über dem majestätischen Fluss. Wir spazieren am Fürstenzug und am italienischen Dörfchen entlang.
Die Zeit vergeht, wie immer, wenn die Zeiger der Uhr sich lachend und unbeschwert drehen, viel zu schnell. Der Abholtermin für unsere zwei hart erkämpften Reifen naht. Schnell zur Werkstatt zurück, nur nicht, dass sie einfach weiterverkauft werden, denn alles ist möglich, wenn nur das Trinkgeld stimmt. Doch es geht seinen sozialistischen Gang, das bedeutet, wir bekommen die Reifen. Sie werden in den Kofferraum verstaut und es geht zurück nach Sebnitz. Natürlich montieren Horst und sein Freund sie noch am selben Tag. Nun steht einer größeren Ausfahrt am Wochenende nichts mehr im Wege. Doch der uralte Berliner Roller wird noch lange nicht weggegeben, obwohl er ein heiß begehrtes Kaufobjekt ist. Er steht in der Garage und wartet darauf, irgendwann noch mal gute Dienste leisten zu können.